Clematis
Botanisch: Clematis
Ich schleiche mich aus den Frühling hinaus und betrete das Tor zum Sommer. Das Klima macht ja auch, was es will. Die meisten Pflanzen erblühen früher als noch vor Jahrzehnten. Bereits im Frühjahr öffnet eine Vielfalt von Clematis-Pflanzen die Blüten. Den Höhepunkt der Blüte erreichen die Kletterpflanzen im Sommer und erfreuen uns noch im Herbst mit berauschenden Farben, wenn sie uns ihre kreativen Früchte schenken.
Clematis sind Hahnenfußgewächse und laufen unter der Überschrift „Waldreben“. Ursprünglich sind diese kletternden Reben Importe aus Asien. In Japan wuchsen sie schon im 16. Jahrhundert in den Gärten, erst Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die Clematis viticella nach England.
Das war mir lange Zeit wurscht. Denn ein Schwall von Clematisranken ergoss sich bei meiner Oma über der Laube, rankte über den Geräteschuppen und entlang des Zaunes. Schade, dass sich die Bank zum Ausruhen direkt unter dem Laubendach befand. Die Pflanze beherbergte Untermieter, die ich gar nicht mochte: Kreuzspinnen. Nach dem Blühen bildeten sich dann auch noch Fruchtstände, die wie Unmengen von Kringelspinnen aussahen.
Heute, nach Dekaden des long-life-learnings, des immerwährenden Lernens, habe ich begriffen, dass sowohl Spinnen die nützlichsten Garteninsekten sind als auch Clematis die schönsten Kletterer sind. Die Spinnennetze der Kreuzspinnen nahe der Clematisranken werden von mir nicht belästigt. Sie hängen ja fast immer an denselben Stellen, so dass ich nicht mehr Gesicht zuerst in das Netz renne, sondern erst schaue, dann agiere.
Lernwillig setze ich für die Clematis seit einigen Jahren das Erlernte in die Gartenpraxis um. 10 Clematis der unterschiedlichsten Art zogen in den Garten ein. Einige gibt es noch, andere konnten mir ihre besonderen Wuchs- und Nährstoffwünsche nicht vermitteln. Wir mussten uns trennen.
„Waldreben“ - angenommen hatte ich, dass Waldbewohner stets genügsam sind und mit Trockenboden zurechtkommen. Tatsächlich sind sie Vielfresser: Viel Nährstoff, viel Wasser. Nicht immer riefen sie mir ihre Bedürfnisse lautstark genug zu. Ungehört verließen sie mich. Hinzu kommt, dass sie empfindlich gegen Wurzelkonkurrenz sind. Die gibt es bei mir allerdings viel.
Ich pirsche mich an die Großblütigen im Garten heran. Den Rosen an der Efeuwand gab ich vier Clematis-Nachbarinnen. Die Profis sagen, beide Pflanztypen ergänzen sich gut. Teilweise hat sich diese Aussage bei mir bestätigt: Die früheste Clematis zeigt bereits Mitte Mai ihre blauen Blüten. Da macht sich die Rose gerade noch ausgehfertig. Die „Perle d´Azur“ eröffnet mit ihren blau-lila farbenen Blüten als erste den Reigen der Clematis. Als großblütig wird sie beschrieben, ein Hybrid ist sie auch. Uff, wieder was gelernt.
Gefolgt wird die „Perle“ von einer intensiv lila Blüte an der gegenüberliegenden Efeuwand. Es ist „The President“. Sie sticht aus dem frischen Maiengrün des Efeus hervor. Der „President“ vertritt seine Landsleute markant. Denen ist es noch zu kalt, sie kuscheln noch im Blütenstadium im Efeu. Folgen sie ihrem Präsidenten dieses Jahr überhaupt noch?
Auch in ihrer Streberphase ergänzen sich die beiden unterschiedlichen Gewächse Rose und Clematis. Was habe ich gebangt, immer mal wieder eine verloren, neu an Platz und Farbe und Art gepflanzt, bis ich inhaliert hatte: Sie brauchen ihre Zeit. Man pflanze sie als Nachbarn zeitlich vor den Rosen, denn sie brauchen länger zum Starten. Clematis benötigen rund drei Jahre bis sie sich entwickelt haben und ihren vollen Blütenaustrieb zeigen. Die Rosen jedoch legen mit der Blüte gleich los. Vorteilhaft ist dieses Rosen-Clematis-Gespann auch, wenn es um die Standortbedingung geht: Die Rose spendet der Clematis den lichten Schatten, den diese Kletterpflanze vor allem am Pflanzfuß benötigt. Ich musste viel lesen, um eine renitente Aussage eines Clematis-Liebhabers zu erhalten: Die vielgepriesenen Fußkühler für die Clematis sollten keinesfalls Wurzelkonkurrenten sein; Funkien als Schattenspender eignen sich also nicht. Clematispflanzen sind Flachwurzler, danken also den Einjährigen für den Sonnenschirm. Wo ich keine Schattenpflanzen finde, lege ich einfach leichte flache Steine um den Fuß. Auch als Wintervorbereitung schütze ich sie mit Laub und Steinauflage.
Die Rose spendet dem Kletterer aber auch den Halt, vor allem, wenn sie selbst eine Kletterrose ist. Die Clematis benötigt nur in Alleinstellung ein Rankgerüst. Die zerbrechlichen Triebe der Clematis schieben sich durch Efeuranken hindurch und suchen Halt, wo immer sie ihn bekommen können. Wenn sie den Halt an Trieben der Nachbarrose findet, schmeichelt sie denen, und legt ihre filigranen Blattranken im stillen Einvernehmen um Stiel, Blattansatz oder Rankgerüst der Rose; der Durchmesser der Strebe eines Rankgerüstes sollte nicht mehr als 3 cm betragen.
Ausgetrickst habe ich die mehrfach gefüllte Weiße am Geräteschuppen. Sie bewohnt meinen Garten im ersten Jahr, ist aber schon so wüchsig, dass das Rankgitter voraussichtlich nicht ausreichen wird. Sie darf jetzt quer ranken. Die eigenwillige Schöne heißt „Duchesse of Edinburgh“. Wer schon einmal in der Hauptstadt Schottlands war, kennt die verwinkelten schmalsten Gassen bis hoch hinauf in die Burg. Hier sind Romane mit geheimnisvoller Geschichte entstanden. So geheimnisvoll zeigt sich diese Clematis von ihrer Wandlung im grünen Erblühen ab Anfang Mai bis zur vollen Schönheit mit gefülltem Weiß Mitte Juni. Was für ein vollkommenes Farbwunder! Ab Juli ruht sie sich von ihrer energiezehrenden Klettertour aus.
Die andere Großblütige, die Hybride, folgt unmittelbar im Erblühen Ende Mai. Sie sollte der Weißen entgegenwachsen. Macht sie aber nicht. Stattdessen wächst sie strikt aufwärts und schleicht sich dann auf das Dach. Hätte ich ihre Zeichen gedeutet, wüsste ich, dass sie die Aufwärtsstrebende ist: Schon die Blüten zeigen wie umgedrehte Sonnenschirme spitz nach oben. Gleichmäßig umgibt sie sich mit kräftigem Blätterwerk. Sie vermittelt die Ansicht von Draufgängertum. Sie ist eben eine Guernsey-Züchtung, die Clematis-Hybride „Boulevard Ooh La La“. Was von der kleinen Kanalinsel kommt, muss mit Durchsetzungsgenen ausgestattet sein.
Richtigmachen, das ist so eine Sache. Nach all den Anfangsfehlern bleibt die Frage: Muss ich, und wenn ja wann, schneiden? Es gibt drei Gruppen. Gruppe 1 (Clematis alpina und montana) sind die Frühblüher, die nach der Blüte leicht ausgelichtet werden. Gruppe 2 (Hybriden) blüht bis in den Spätsommer und wird im Spätherbst leicht gekürzt. Gruppe 3 (Sommerblüher-Hybriden und viticella) wird im Herbst ca. 30 cm über dem Boden geschnitten. Finde die richtige Gruppe und der Blütenspaß steigt. Die ersten Jahre habe ich alle geschnitten, die letzten keine. Das Lernen geht bei mir weiter.
Belohnt werden wir nach all der Aufregung und Mühe durch die Clematis Pflanzen bis in den Spätherbst, sogar bis in den Winter hinein. Ihre spinnenartigen Fruchtstände, die zottig-behaarte Nüsschen sind, haben ihren eigenen Dekorationszauber. Den Vögeln habe ich damit geholfen, denn sie holen sich die Fruchtfäden als Polstermaterial ihrer Nester im Frühjahr. Tatsächlich gibt es rings in unserem Garten einige Vogelarten, die schon mehrere Jahre katzensicher bei uns brüten.
Nach all dem angehäuften Wust über die Strebsamen gehe ich in den Wald. Wahrscheinlich treffe ich dort die Gewöhnliche Waldrebe, auch „Geißbart“ genannt. Vielleicht lässt sich an dem Ort ihres Daseins der deutsche „Tarzan“ drehen, immerhin sollen die Schlingen reißfest sein.