Feige - Gartensinn

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Feige
Botansich: Ficus carica

Die große Zeit des Feigenbaumes kommt nach dem Austrieb der ersten Blätter. Sie bilden sich adrett im Verbund mehrerer Blätter um die Triebenden. Dann, wenn die Blätter vollausgetrieben sind, dann ist sie der Feigenbaum, der uns schon im Märchen vorgestellt wurde: Ein ausladender Schattenspender im intensiven Grün. Was sie darunter verbirgt, erfreut jedes Gärtnerherz. Direkt an den Zweigen sitzen kleine grüne Perlen. Direkt an den Ästen werden die grünen Früchte reif, direkt geschützt durch kastanienblatt-große dreifingrig gespreizte Blätter. Der Sommerfruchtansatz reift bis zum August, danach setzt der Baum noch einmal Früchte an, die im September wachsen, aber bei abnehmenden Temperaturen nicht mehr reifen. Jedoch, nur die weiblichen Bäume bilden essbare Früchte. Wie gut, dass wir Frauen uns in meinem Garten gegenseitig supporten!
Die Äste sind starr, sie schwingen nicht wie bei unserer Kirsche. Sie sind noch starrer als die Äste alter Apfelbäume. Und dabei wirkt sie wie ein Strauch, weil ihre Äste schon unmittelbar über dem Boden auseinanderwachsen. Auch beim Einkürzen und Auslichten scheint es sich um den strauchähnlichen Austrieb mehrerer Zweige zu handeln. So kommt ihre Vielschichtigkeit ans Tageslicht: Dem Aussehen nach ist die Feige „der Strauch“, botanisch gesehen ist sie „der Baum“, artikelmäßig bzw. geschlechtswortmäßig ist sie ein weibliches Gewächs, die Feige. Sei´s drum.
Ihre Rinde wirkt glatt wie Jugendhaut und ist eine Mischung von elegantem Anthrazit mit zart-kupferrotem Ansatz. Ganz anders das Mark des Holzes. Es ist weißlich. Irgendwo las ich, dass das Feigenholz ein phantastisches Räucherholz ist: Es verbreitet einen aromatischen Duft und steht energetisch für Schutz, Liebe und Fruchtbarkeit. Probiert habe ich es noch nicht. Aber beim Schnuppern am frischen Schnitt tauchte ich in eine exotische Welt: Es roch paradiesisch nach Kokosnuss. Vielleicht aber entströmen dem Holz auch göttliche Düfte, denn im alten Griechenland wurden Figuren des Gottes Dionysos aus Feigenholz geschnitzt.

Die Früchte meines Feigenbaumes sind gelbgrün. Bis ich das geschnallt hatte, ließ ich vollreife Früchte vom Zweig auf die Erde plumpsen, da sie meiner Meinung nach den supermarkt-blauen Feigen nacheifern sollten. Taten sie nicht. Die Ameisen freuten sich über die süßen Gelben. Später auch ich und die Familie. Letztes Jahr trug der Baum überreich; bei 30 Früchten hörte ich auf zu zählen. Frisch beim Baum habe ich sie roh genossen, und auch mit Ziegenkäse aufgepeppt. Dabei wird der Geschmack durch das vielfache Bersten der kleinsten Kerne im Mund als Brausepulver der besonderen Art wahrgenommen. Sie spielt damit noch einen besonderen Trumpf aus: Sie ist keine Steinfrucht, keine Kernfrucht, sie ein „Steinfruchtverband“. Was für ein Sonderling!

Ich kann nicht sagen, ob sie extreme Kälte vertragen würde. Die jetzigen Klimaverhältnisse kommen ihren Wünschen entgegen. Sollten ihre kahlen kakeligen Zweige im Winter einmal an den Spitzen erfrieren, werden sie im Frühjahr von mir verschnitten und treiben wieder genug Blattgrün aus. Der geringe Pflegeaufwand beschränkt sich auf das Entspitzen der Fruchttriebe und dem konsequenten Inzaumhalten der ausufernden Zweige.
Sie legt im Winter eine intensive Winterruhe ein. Wüsste ich nicht, dass sie ein breitausladender Schattenspender werden kann, würde ich das Gewächs im Winter für ein Kunstobjekt mit Titel „Kahler Strauch“ halten. Auch in Malta, wo wir im November Feigenbäume als Feldbegrenzungen sahen, wirkten sie wie unordentlich durcheinanderwachsendes Gestrüpp.
Zur Winterbevorratung könnte ich die Früchte trocknen, wie zu Plinius´ Zeiten. Nicht zuletzt sind auch bei uns die getrockneten Feigen Symbol für die Vorweihnachtszeit. Dieses Jahr wird sich die Frage der Verwertung nicht stellen. Ich habe ihn im Frühjahr stark zurückgeschnitten. Er trägt nur am zweijährigen Holz, also an den Vorjahrestrieben. Mein Feigenbaum wird also nur minimalen Fruchtansatz zeigen. Schade, denn gibt es Verdauungsbeschwerden, hilft die Feigenfrucht. Sie hat Pektine, die gegen Verstopfung helfen. Viel Kalium und Kalzium sowie Antioxidantien finden sich außerdem in der Frucht.
Von der Heilkraft der Rinde erfuhr ich erst, nachdem sie vor mir zerrann, also die Heilkraft: Als ich Fotos machte, brach ich beim Heranführen der Fotolinse an eine Frucht ein Blatt ab. Dabei trat weißer Saft aus. Dieser weiße Saft soll bei Insektenstichen lindern und zur Warzenbehandlung nützen. Erfahrung habe ich noch keine sammeln können, jedoch eine Warnung gelesen, nach der im Milchsaft Latex-Partikel enthalten sind, die zu Hautentzündungen führen können. Aber so ist es bei vielem, es kann helfen, es muss nicht, manchmal schadet es sogar.

Bei anderen gesehen haben wir ein Feigengewächs, das sich so richtig ausleben kann. Auf der Insel Mainau wächst am Schloss Mainau eine Feige, die die Wand berankt. Auf der Erklärtafel steht, dass sie 1827 vom ungarischen Fürsten Esterhazy gepflanzt wurde. Er war der erste beständige Besitzer, der auf der Schlossanlage exotische Gehölze anpflanzte. Heute zieht sich die stabile Ranke über die Eingangsfront der Schlossfassade und ist fast 200 Jahre alt. Hätte ich ihre Bekanntschaft früher gemacht, würde hier ein Feigengerank die hohe Hauswand gestürmt haben.


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