Rotkehlchen
Botanisch: Erithacus rubecula
Das Rotkehlchen ist mein melodischer Begleiter durch das ganze Jahr. Der kleine Vogel huscht am liebsten unterhalb der Büsche lang. Männchen und Weibchen sind im Partnerlook, das Gefieder der beiden ist gleich. Sobald ich bodennah durch Strauch und Busch robbe und zupfend die Erdflöhe aufwirbele, ist das Rotkehlchen in meiner Nähe. Es knickst vor mir mit einer Beugebewegung. „Ach, wie süß!“, höre ich die Menschen rufen. Nein, wie gewieft. Ich fächele ihm praktisch die Insekten in den Schnabel. Aufgeschreckt durch meine Wuselei, hüpft und springt das fressbare Volk dem fleißigen Vogel direkt in den Schnabel. Wir sind Partner: Ich versorge ihn mit der Extraportion Proteine, er bewahrt meine Pflanzen vor Fressschäden. Seine Jungen werden mit den kleinen Spinnen und Insekten gefüttert, die er nahe am Boden einsammelt, um dann zu huschen, zu hüpfen und zum bodennahen Nest zu entwischen.
Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich so gerne glauben, dass das großäugige Vöglein sich gern von mir streicheln lassen würde. Dass das kleine rote Lätzchen so viel Dankbarkeit für freigelegte Wurmerde zeigt, dass es mir, nur mir, sein himmelhochjauchzendes Lied widmet. Und schwupps hüpft es in die Sternmagnolie und singt mir direkt in die Küchentür hinein sein Küchenlied. ABER, leider, leider, es tut es nur für sich. Alles Menschelnde ist vermessen. Ich erkenne neidlos an, dass bei unserem Miteinander der kleinste Spross das Sagen hat und ergötze mich an der Tonaufnahme, die ich andächtig lauschend neben der Kornelkirsche aufgenommen habe.
Sein Vertrauen haben uns die Rotkehlchenpaare schon mehrere Jahre lang bewiesen, als sie ihre Jungen zum Futterplatz führten. Im Schutz des Gartens mit Absperrung vor Katzen konnten sich die neuen Generationen auch sicher an der bodenebenen Tränke laben. Wird es dieses Jahr auch wieder Junge geben? Ab Ende April wird es spannend. Bis zu zwei Bruten jährlich sind möglich; rund fünf Jungen sind dann im Nest zu füttern.
Der frühe Vogel ist es, der mit seinem melodischen Gesang den Morgen weckt und seinen Wurm verteidigt. Am Futterplatz lässt er sich schon sehr zeitig am Morgen sehen. Wenn die anderen noch am Federnputzen sind, hat er schon in der Wasserschale gebadet. Wenn ich geräuschvoll zu den Beeten laufe, huscht er schnell unter den schützenden Kirschlorbeerbusch oder in das Efeugebüsch. Seine knicksenden Laute sendet er dann als Meckerei, dass ich ihn gestört habe.
Jeglicher Eindringling in sein Revier wird mit der Ansage „tick tick“ gewarnt. Kein Eindringling soll vergessen, dass der rote Latz nicht als Zeichen für menschliche Schwärmerei steht, sondern den Gegner rot sehen lässt. Rot ist die Farbe der Energie. Energie legt das Rotkehlchen in den Kampf um sein Revier, koste es sogar den Tod.
Aber nein, soweit gehen wir doch nicht! Bitte nicht! Aus angemessener Entfernung gönnt es uns noch lange einen Blick in die kullerrunden Augen und weckt mit seinem Gesang den Morgen auf.