Mein Wintergarten
Winteranfang: 21. Dezember
Winter: November bis März
Da denkst Du, die große weiße Decke wird über die kleinen Pflanzen und großen Sträucher gelegt, damit sie ruhen können. Denn so kennst du das aus der Kindheit. Erst im Februar schoben sich die oliv-grünen Lanzen der ersten Schneeglöckchen im Pulk hervor. Gegenseitig mussten sie sich vor dem Hauch des Frostes schützen. Und heute? Heute sitzen die Schneeglöckchen noch im Januar im braunen Laub.
Aber was sollen wir Greinen und Weinen über Schlittenfahrten im Rasen, musikalisch untermalt vom Schneeglöckchengebimmel? Die Natur reagiert. Sie zeigt uns langzeitlich Blüten. Oder Blatt. Der Aronstab ist so ein Starker. Er hat seine Blüten und seine Früchte hinter sich gelassen, er ist nur noch Blatt. Dafür aber mit voller Wucht. Dunkelgrün mit markanter Aderzeichnung schützt er die Spatzen, die selbstvergessen Körner in die Erde kleckern.
Die Ringelblume grüßt noch im Dezember. Von den Rosensträuchern durfte ich rote, weiße, orange Blüten abschneiden und in die Vase stellen – im Dezember! Diese Sonnenanbeter halten Kältegrade um die Nullergrenze durch. Besonders starke Exemplare schaffen es sogar, ihre späten Blüten durch gelegentliche Nachtfröste zu bringen. Die Natur passt sich an. Sie beweist uns ihre Flexibilität.
Die Pflanzen sind stark. Sie müssen sich mit klimatischen Bedingungen abgeben, für die sie nicht geschaffen wurden. Sie wollen keine Photosynthese mehr betreiben, treiben aber aus, sobald wir im Dezember runde 10 Grad Plus haben. So sollten wir der Natur ein wenig helfen. Passende Sträucher halten die Feuchtigkeit im Boden, ein Fruchtbehang an den Beerensträuchern hilft den Vögeln über den Winter zu kommen und frühe Blüten laben die Insekten auf ihren ersten Frühlingsflügen.
Wer das augenlindernde Grün braucht, kann sich Fahrten in den Süden sparen: Es grünt in unseren Landen fast durchgängig bis in den Januar hinein. Die Primel hat ihre Blattrosette sehr ordentlich sternförmig über der Erde ausgebreitet, und einige lilafarbene und orangefarbene Stiefmütterchen blühen noch, erst recht das Hornveilchen. Sie scheinen den Tiger im Tank zu haben; sie zeigen ihre Blüten charmant frostumrändert. Ansonsten sind die Pflanzenfarben jetzt hell, die Blüten sind meist rosa wie beim Duftschneeball, gelb auch, wie bei der Winterblüte, selten Knallrot. Mit dem Alpenveilchen habe ich es gut getroffen. Rote und weiße Blütenblätter leuchten, so dass hungrige Insekten auch im Winter Nahrung finden. Auch die Elfenblumen schlagen sich tapfer, ohne Blüten. Wenn der Wind garstig und kurz über den Boden fegt, scheinen die herzförmigen Blätter um den Rosenfuß herum zu tanzen. Ihre auf hohen Stängeln wippenden Blätter schützen den Boden vor Austrocknung. Sie selbst sind relativ resistent gegenüber Trockenheit. Bei Feuchtigkeit lassen sie ihre Blätter wie eingeölt glänzen.
Der Duftschneeball bereitet im Dezember seine ballförmigen Blütenstände in zartem Rosa vor. Er versendet Duftsignale, um die wenigen kälteresistenten Insekten anzulocken. Auf jeden Fall schafft er es, mich anzulocken. Ich schütze ihn vor dem Austrocknen und lege dem Wurzelhals eine Laubschicht um. Sie hält nicht nur die Feuchtigkeit im Boden. Darin verbergen sich auch die Kleinlebewesen, die das Laub in Humus umwandeln und – die dann wiederum das Futter für die ewig verfressenen Vögel sind. Im schneefreien Dezember beobachte ich, wie das Laubblatt durch Amsel oder Meise mit einem energischen Schnabelruck umgelegt wird. So sichten sie die sich verbergenden Insekten. Fast ganzjährig ist neuerdings ihre Frischfleischversorgung gesichert.
Die Große Fetthenne zusammen mit den anderen samenständetragenden Pflanzen bietet den Kleinstlebewesen eine Winterherberge. Für die Vögel sind die Samendolden eine vegetarische Beigabe zum täglichen Körnerfutter an den Futterplätzen.
Und das Grün? Ja, das gibt es mannigfach. Das Immergrüne erst recht. Bei mir jedenfalls. Wenn sich die Spaziergänger im Sonnenschein auf den Weg machen, um Winterglück und Immergrün mit Blick zu mir zu genießen, schleppe ich Gießkannen. Selber schuld, ich weiß. Das Gartenwasser ist abgestellt, aber die Immergrünen dürsten. Die wenigsten erfrieren, die meisten verdursten. An warmen Wintertagen geht die Trockenheit an ihre Substanz. Sie müssen assimilieren, also Wasser über die Blätter verdunsten, bekommen aber keines. Die hilfreiche Schneedecke ist nicht vorhanden. Zum Glück habe ich kaum Kübelpflanzen, so dass die Beetpflanzen sich bei frostfreiem Wetter mit kurzem Auftanken begnügen.
Auch die Kleinen, die den Boden bedecken, laben meine Augen mit Wintergrün. Um nicht auszurutschen, geht der Blick achtsam nach unten. Da sind die Bodendecker regelrechte „Eyecatcher“, also „Augenfänger“.
Die Schleifenblume wächst buschig am Beetrand und werkelt schon an ihren Schleifen für das Frühjahr. Der noch im Herbst in der Gärtnerei gekaufte Bleiwurz hat sich mit anmutigem Rostrot die Blätter gefärbt, nur um für die gerade noch bis in den Dezember gezeigten hellblauen Blüten ein Pendant zu schaffen. Die Mühlenbeckia, auch Kiwiknöterich genannt, ist da schon ungezügelter. Sie streckt ihre fadenlangen reißfesten drahtigen Triebe durch alle Pflanzen, um alle Pflanzen herum und ist noch nicht mal eingeschnappt, wenn ich in Ermangelung von Ablageplatz ihre Triebe einfach abschneide. Sie hat vorgesorgt und eigenständige neue Pflänzchen abgesenkt und verwurzelt. Drahtpflanze heißt sie auch, was für mich nach Erdrosseln kling. So etwas tue ich nicht, und lasse es auch nicht zu. Ich schmücke. Die winterkahle Scheinhasel und die Schneebeere kommen in den Genuss der grazilen immergrünen Blättchen, indem ich sie wie eine Boa um die zarten blattlosen Triebe lege. Schon profitieren wir drei davon: Die Wuchsfreudigkeit der grünen Bodenrankpflanze kann sich austoben, die halbmeterhohen sommergrünen Sträucher tragen Blattschmuck bei natürlicher Winternacktheit und ich – ich bin Queen, Kreativ-Queen.
Die Christrose ist in vollem Swing. Sie steht in meinem Garten an verschiedenen Stellen. Mal als Christrose, die im Dezember blüht, mal als Schneerose, die schon im November anfängt, mal als Lenzrose, die bis in den Frühling Blüten trägt und sogar eine mit silbergrauem Blatt. Jedoch, jedoch, die Guten musste ich in den Giftgarten beordern. Schuld daran ist ihre Vergangenheit. Sie haben sich mit ihren Wurzeln einen Ruf als Giftmischer eingehandelt: Nieswurz! Konsequent verbiete ich mir darum selbst, sie im virtuellen Wintergarten zu beherbergen. Jedoch, jedoch, und - als wunderbarer strahlendweißer oder apart grau-grün erquickender Winterblüher muss sie im Wintergarten genannt werden und auch mit Foto gezeigt werden.
Und dann kommt die Hamamelis daher. Mit ihrem geheimnisvollen deutschen Namen „Zaubernuss“ macht sie sich interessant, und letztlich erstrebenswert. Als Gärtnerin sehe ich das erst im Februar ein. Nämlich dann, wenn ihre Blütenfussel um die Zweige hängen. Dann, wenn sie duftet. Und dann, wenn sie im Frühjahr endlich die frischgrünen haselnussähnlich-strukturierten Blätter ausschiebt. Ansonsten muss ich mich zur Geduld zwingen. Selbst eine Blütenbildung wie bei anderen Sträuchern ist bei ihr verhext: zusammengekauerte dunkelbraune Knubbel sitzen am Zweig. Doch sie sind es, die mir die Winterüberraschung bringen: Flatterbänder! Im amerikanischen Lied bittet der schmachtende wiederkehrende Liebhaber die Geliebte, ein gelbes Band als Zeichen ihrer immer noch vorhandenen Liebe um den Baum zu binden. Und was sieht er, als er aus dem Bus steigt? Tausend gelbe Bänder, die am Baum flattern. Genau! Das ist Liebe! Die Hamamelis liebt mich eben, mit ihren rund eintausend-oder-soundso-vielen gelben Bänder-Blüten.
Und was macht die Schneeforsythie in der Zeit? Sie eifert der Hamamelis nach. Indem sie sparrig braune Zweige in den Wind streckt, stellt sie mich ebenfalls auf die Geduldsprobe. Blüten? Ja, Blüten hat sie auch. Wunderschöne rosé-farbene Glöckchen, die den Forsythienblüten ähneln. Aber, diese hier, die Schneeforsythienblüten zeigen sich schon in der Schneesaison. Ab Februar bis April ist sie eine wertvolle Insektenweide. Daher schütze ich die Blüten mit einem Vlies, wenn Spätfröste zu erwarten sind.
Die Winterblüte ist die Gewinnerin meiner Winterblüher. Sie hat sich ihr leuchtend gelbgrünes Laub bis Ende Dezember bewahrt. Okay, okay, es war nicht sehr frostig. Den Frost mögen die Blätter nicht sehr. Verdeckt haben sie dabei die vielfachen Blütenperlen, die ab Dezember direkt an den Zweigen knospen.
Da sie ihre Zweige in stabiler Kontur ausgebaut hat, ist sie der Hingucker aus meinem Fenster. Der Jahreswechsel wird bei uns mit goldgelben Blüten gefeiert. Sicher! Wozu brauche ich Silvesterraketen? Ich setze mich neben die Winterblüte und lasse mich auf den Schwingen des herb-schönen Duftes ins neue Jahr tragen.
Unweit und unterhalb der Winterblüte stehen einige Kleinsträucher. Kräuterpflanzen haben ihr eigenes Winterflair. Was erstaunt, ist, dass die mediterranen Kräuter sich unseren nordeuropäischen Wintern angepasst haben, jedenfalls den milden jetzigen Wintern. Das Heiligenkraut hatte ich im Herbst radikal runtergeschnitten. Jetzt treibt es wieder aus und leuchtet im Winterbeet wie eine silber-farbene Koralle, die mal schauen will, wie es obenrum ohne Meer so aussieht. Der Lavendelstrauch trug vor einigen Jahren noch die Schneehaube, jetzt trägt er im Januar noch die letzten Blütenrispen. Die Eberraute wird von mir nicht nur wegen ihres herben Dufts geliebt. Mit ihrer Robustheit schafft sie es, sich als eine meiner universellen mehrjährigen Sträucher zu behaupten, die ich ins Blumenbeet einbaue und die mich sowohl mit Sommerblüten als auch mit ihrer frostig schönen Erscheinung im Winter erfreut. Während die Pimpinelle ihre filigrane Blattrosette wie ein Feenkleid über den Boden breitet, weil sie eben nur 10 cm hoch ist, rekelt sich der Salbeistrauch am Beetrand auch nach seiner Wurzelteilung im Herbst noch selbstbewusst mit Frostbelag.
Wenn mir das Silbrige zu kalt und das Grün zu belebend wird, schwenke ich zu den seltenen Farben des Winters – „So rot wie Blut“, sollte der Königin Kind sein, das außerdem schwarze Ebenholzhaare und weiße Schneehaut hätte und das sie dann Schneewittchen genannt hätte. Ein Blick in meinem Wintergarten hätte ihr wenigstens das königliche Purpur vergönnt. Im Herbst trägt das Purpurglöckchen seine hohen Stiele mit zarten Glöckchen, im Winter legt es sich schmückenden Raureif um das Blatt. Aber auch er, der Mangold, prunkt mit Farbe! Er hatte es mir im Sommer angetan und im Herbst sogar geblüht. Als die zweite Saat nicht mehr ausreifte, setzte ich die Pflänzchen zwischen die Beete und siehe – sie akzentuieren je nach Standort. An diesem Farbton erfreue ich mich Januar.
An dem Lockruf des Goldes erfreuen sich die Insekten. Den setzt der Winterjasmin frei. Die Peitschentriebe hatten schon im Herbst vorgearbeitet und sich die Knospen angelegt. Nun wippen die goldgelben Glöckchen vielfach in den beweglichen Trieben.
Noch hundert und eine Pflanze sind in meinem Wintergarten erwähnenswert. ABER – ab und an hänge ich das Mäntelchen des Schweigens über sie. Dann kommen Wind und Frost und toben sich aus. Bis ich ihnen mein Gras-Schreckgespenst entgegenflattern lasse. Na, da bekommen aber alle Wetterunbilden richtig Angst …